Im Rahmen der Demokratietage waren am 17. Juni 2025 die 10. Klassen zu einem Zeitzeugen-Gespräch im Kurstift Bad Kreuznach eingeladen. Dort hatten wir die einmalige Möglichkeit den Zeitzeugen, die alle zur Zeit der Weimarer Republik geboren sind, […]Frau Hübener, Herrn Seemann, Herrn Dr. Wilutzky und Frau Wilutzky zu begegnen. Bei seiner Begrüßung wies der Leiter des Kurstifts, Herr Dr. Boris Eitel, mit dem Zitat „Once in a lifetime“ darauf hin, dass dieses Gespräch wahrscheinlich das letzte sei, welches so in dieser Form zustande kommen wird. Mehr als zwei Stunden hörten wir uns die Geschichten aus dem Leben der Zeitzeugen an.

„Das Gestern ist Geschichte, das Morgen ein Rätsel, aber das Heute ist ein Geschenk“ so lautet das Zitat von Ingrid Hübener, einer 101-jährigen Zeitzeugin aus dem 2. Weltkrieg.

Zu Beginn erzählte uns der 1925 in Westpreußen geborene Herr Dr. Wilutzky von seiner Jugend. Nachdem er 1942 sein Abitur abgelegt hatte, begann der Apothekersohn ein Medizinstudium und wurde recht bald in die Wehrmacht eingezogen. Dazu äußerte er sich folgend: „Man hatte zu gehorchen und Befehle anzunehmen.“ 1945, kurz nach Kriegsende, kam er für 4,5 Jahre in russische Kriegsgefangenschaft. Dadurch, dass Herr Dr. Wilutzky vier Semester lang Medizin studiert hatte, hatte er das Glück im Kriegsgefangenenlager als Sanitäter arbeiten zu dürfen und nicht umgebracht zu werden. Nach der Befreiung führte er als Kinderarzt in Bad Kreuznach ein normales Leben weiter und ging anschließend im Kurstift in den Ruhestand.

Danach berichtete Frau Hübener (101) über ihre Jugend, wobei uns eine Geschichte emotional sehr berührt hat. Sie erzählte uns, dass sie, „Reichsdeutsche“ und unter anderem auch ihre Freunde ein Ticket bekommen hatten, um damit von Danzig aus mit dem Wilhelm-Gustloff-Schiff in Sicherheit nach Hamburg fahren sollten. Als Frau Hübener dies ihrer Mutter berichtete, brach diese in Tränen aus und flehte sie an, dass sie sie nicht allein zurücklassen sollte. Ihre Mutter saß im Rollstuhl, da sie nach einem Bombenanschlag im 1. Weltkrieg drei Tage lang unter Steinen gelegen hatte und tragischerweise einen Beckenbruch erlitten hatte, der nie verheilte. Letztlich blieb Frau Hübener bei ihrer Familie, wodurch sie dem Schiffsunglück am 31.01.1945 entkam. Damals wurde das Wilhelm-Gustloff-Schiff durch ein russisches U-Boot zerstört, welches Torpedos auf das Schiff feuerte. So sind 8.000 Menschen ums Leben gekommen. Nach der Kriegszeit wurde sie aufgrund ihres 5-6 Semester-langen Chemiestudiums gefragt, ob sie als Lehrerin für Chemie und Biologie arbeiten wollen würde, da in Bad Kreuznach dringend Lehrer gesucht wurden. Im Endeffekt übernahm sie eine 64-köpfige Klasse, wobei sie sie in vielen verschiedenen Fächern unterrichtete. Später ging sie wie auch Herr Dr. Wilutzky im Kurstift in den Ruhestand.

Anschließend hatten wir die Ehre, Herrn Seemann zuzuhören. Er wurde 1927 geboren und wuchs als Mitglied der Hitlerjugend auf. Frau Hübener bezeichnete diese als „Sportverein“. „Man war zu jung, um darüber nachzudenken.“ Damals erfuhr Herr Seemann von einem Freund, dass dieser in einem Sabotageakt eingesetzt wurde. Sein Freund berichtete, wie gefährlich der Einsatz war, da die Jugendlichen gegen das NS-Regime vorgingen. Obwohl er eines Tages von der Stasi verhaftet wurde, konnte er unter dem Vorwand, auf Toilette gehen zu müssen, nach Hause fliehen. So war es sowohl zur NS-Zeit als auch in der DDR gefährlich, dem Staat Widerstand geleistet zu haben. Nach Kriegsende kam er nach Bretzenheim ins Rheinwiesenlager (Gefangenenlager). Er erzählte uns stolz, wie er und ein Freund von ihm wegen der Nahrungsknappheit immer Kartoffeln gestohlen haben und daraus Kartoffelpüree gemacht haben. Als Rentner kam er dann nach Bad Kreuznach und wohnt heute noch im Kurstift.

Abschließend hörten wir uns dann die Geschichten zur Schulzeit von Frau Wilutzky an. Sie wurde 1929 in Berlin geboren. Ihr Schulweg war sehr lang, daher lief sie jeden Morgen 40 Minuten durch mehrere Dörfer und durch ein Kornfeld. Während ihrer Schulzeit war in Berlin Bombenkrieg. Sie erzählte uns zwei interessante Geschichten, einmal wie sie jeden Tag nach der Schule nach Hause rennen musste, um aufgrund der Bombardierung sicher in den Bunker zu kommen. Die zweite Geschichte hat uns alle schockiert. Eine Freundin von ihr und deren Mutter wohnten bei Frau Wilutzky und ihren Eltern zu Hause, da deren Haus zerstört wurde. Früher wurden junge Frauen oftmals vergewaltigt und waren nicht mal bei sich zu Hause sicher. Immer wenn es an der Tür klopfte, wartete die Mutter, bis Frau Wilutzky und ihre Freundin auf dem Dachboden waren, erst dann öffnete sie die Tür. Doch eines Tages schaffte sie es nicht rechtzeitig sich zu verstecken, als ein russischer Polizist an der Tür klopfte. Er fand Frau Wilutzky ganz schnell, richtete seine Pistole auf sie und sagte: „Komm mit!“. An der Haustür angekommen nutzte sie ihre Chance, schlug die Tür hinter sich zu und rannte zum Nachbarhaus. Die beiden Familien hatten ein spezielles Klopfen ausgemacht, falls es zu genau so einer Situation kommt. Frau Wilutzky konnte sich retten, sie blieb in dem Nachbarhaus, bis ihre Mutter sie schließlich am Abend abholte.

„Ich hatte Glück“, sie beteuerten alle auf ihr Glück, da sie jedes Mal dem Tod nur knapp entkommen sind.

Zum Abschluss gaben uns die Senioren noch ein paar Weisheiten mit, Frau Hübener sagte: „Habt Spaß und Freude am Lernen!“. Sie sagt auch selbst, dass man in ihrem hohen Alter noch immer Lebenserfahrungen sammeln kann und jeden Tag etwas Neues dazulernen kann.

Frau Wilutzky sagte sinngemäß, „Egal welche Religion, katholisch oder evangelisch, wir sind alle Christen!“.

Herr Seemann sagte: „Im Ruhestand dürft ihr nicht aufhören zu „arbeiten“!

Alle waren der Meinung: „Gib nie die Hoffnung auf!“

Anna Zimmermann (10c), Sandrina Grünewald (10c), Vanessa Eisenhut (10a), Leonie Stich (10a)